Mut
Hier folgt meine Einführung für den Philosophischen Salon vom 16. Januar 2025:
Wenn wir untersuchen wollen, was uns Mut macht, sollten wir zuerst festlegen, was Mut ist. Hier sind zwei Sichtweisen.
Es kommt halt drauf an, wen man fragt. Wenn Sokrates den Laches fragt, was er denn unter Mut versteht, sagt jener, das sei einfach: sich nicht umdrehen im Kampf, und seine Position dem Feind gegenüber behalten. Ihr seht, Laches ist ein General—der kennt Mut zwar bestens aus der Erfahrung, aber denkt zum ersten Mal über ihn nach.
Schon bald jedoch merkt er, dass etwas fehlt: etwas Inneres, nicht bloss ein Verhalten. Er fügt an, Mut sei eine Art mentale Ausdauer oder Beharrlichkeit. So eine Art Rückgrat oder Standhaftigkeit. Etwas ertragen, halt: nicht gerade aufgeben. Das finde ich schön. —Aber es ist wohl eher was wir ‘tapfer’ nennen würden, nicht ‘mutig’.
Später im Gespräch schlägt Laches vor, Mut sei ein Wissen darum, was uns Furcht einflösst, und ein Wissen von dem, was uns Zuversicht gibt. Das ist auch gut, finde ich: denn Mut hat nichts mit Furchtlosigkeit zu tun. Sondern vielmehr mit einer geschickten Art und Weise mit der Angst umzugehen. Viel mehr lernen wir aber nicht von Platon.
Aristoteles’ Verständnis von Mut ist subtiler und reicher. Mut ist eine der Tugenden. Damit meint Aristoteles, grob gesagt, Eigenschaften unseres Charakters, die uns helfen, mit uns selbst zurecht zu kommen, aber auch mit anderen Leuten und mit externen Gütern, wie beispielsweise Geld und Ehre . Die Tugenden sind Zustände und Gefühle, welche gerade richtig sind auf Bezug auf irgendein Merkmal: nicht zu wenig, und nicht zuviel.
Zum Mut gehören Furcht—vor Versagen oder Schmerz, oder Scham—und Vertrauen, in sich selbst. Mut ist demnach also ein Zustand, bei welchem wir uns nicht zu wenig fürchten, aber auch nicht zuviel; und wir allerdings auch nicht zu viel Selbstvertrauen haben, aber auch nicht zuwenig: also keine De-mut oder Sanft-mut.
Mut ist also ein Mittel zwischen vier Extremen: erstens sind wir nicht total ohne Angst, was ja übermenschlich wäre (gerade so wie Superman, vielleicht), oder tollkühn und über-mutig, zweitens jedoch auch nicht gelähmt vor Angst, oder alles fürchtend: ein Feigling. Wir fürchten nur das, was sich zu fürchten lohnt, zur richtigen Zeit, auf die richtige Art, in der richtigen Menge, mit einem gesunden Blick darauf, was uns schaden könnte. Drittens vertrauen wir nicht zuviel in unsere Fähigkeiten, überschätzen uns nicht, sind weder waghalsig noch dreist; aber viertens fehlt uns auch nicht ganz die Zuversicht, so dass wir voller Hoffnung bestimmten Aufgaben gegenüber sind.
Mut ist also so etwas wie eine (stille) Zuversicht, dass wir in der Lage sind, eine vermutete Gefahr zu meistern. Nach Aristoteles sind die Mutigen also Menschen, die fürchten was zu fürchten vernünftig ist (Schmerzen, Demütigung, Tod), die aber keine Angst haben, wenn es unvernünfig ist. Und die etwas wagen wenn es vernünfitig ist (Aussicht auf Erfolg), aber den Versuch unterlassen, wenn es unvernünftig oder sogar irrational scheint (Torheit).
Das ist also der Mut, wie er vor 2’300 Jahren vorgestellt wurde. Ich denke, da ist was dran. Eine von vielen Fragen ist bloss, wann ist es vernünftig, etwas zu fürchten, oder zuversichtlich etwas anzupacken?
Zum Beispiel: etwas zu lernen, ein Instrument, oder eine neue Sprache, vielleicht, oder auf eine Reise zu gehen, oder eine neue Bekanntschaft zu machen. Oder vielleicht auch, morgens aufzustehen. Das braucht alles Mut. Mehr oder weniger.
Oder auch: Mut, ‘den eigenen Verstand zu gebrauchen’, wie das Kant einmal im Hinblick auf unsere Unmündigkeit gesagt hat. Als wäre der Verstand oder das Wissen etwas Gefährliches, etwas das uns Furcht einjagt! Wage bloss nicht selber zu denken!
Wenn wir mutig sind, wagen wir etwas, ertragen Unsicherheit und Risiko, begeben uns auf einen Pfad mit unbestimmtem Ausgang.
Mut hat Werte im Blick, ein lohnenswertes Ziel, und vielleicht sogar etwas Edles für die Gemeinschaft. Vielleicht begegnet uns Widerstand, gegen den wir uns durchsetzen müssen, vielleicht müssen wir uns dem Gewohnten verweigern oder widersetzen, um unsere Ideale zu retten, zu ihnen zu stehen, oder neue zu schaffen.
So, das waren einige einstimmende philosophische Gedanken zum Mut. Ich wollte euch ja vor allem er-mut-igen, selber etwas zu denken und zu unserem Gespräch beizutragen!
Also: was gibt uns Mut? Was sind eure Ideen zum Mut, und woher könnt ihr ihn nehmen, wenn ihr ihn braucht? Und wofür braucht ihr Mut?